Das Leben eines Socken!
Hi, ihr Wesen auf der anderen Seite des Teiches! Mein Name ist Socke. Um präziser zu sein: Socke Nr.18. Aber ihr dürft mich gerne einfach nur Socke nennen. Ihr fragt euch wie ich aussehe? Ich bin einfach nur weiß mit einem goldenen Strich vorne. Ich weiß, richtig langweilig! Manchmal wünsche ich mir, ich würde so aussehen wie Socke Nr.5. Er ist orange und hat einen Kürbis aufgedruckt.
Ich schreibe euch hier, weil mein Leben schreeeeecklich ist. Und irgendwo muss ich dampf ablassen können. Mirjams Blog scheint mir dazu perfekt geeignet zu sein.
Wie ihr ja alle wisst, steht die Weihnachtszeit vor der Tür. Ich habe nur einen einzigen Wunsch an den Weihnachtsmann – ich möchte einen neuen Besitzer haben, und das bitte schnell!!! Momentan gehöre ich Ella. Ihr wisst schon, das kleine Mädchen, das der Mirjam oftmals das Leben schwer macht. Sie denkt, sie wäre schon groß und respektiert daher die meisten Erwachsenen nicht. Sie ist es, die mein Leben so schrecklich macht. Ihr fragt euch warum? Um diese Frage zu beantworten, muss ich einfach nur einen Tagesablauf von mir schildern.
Das tolle daran, ein Socke zu sein, ist, dass alle Socken von vorne herein einen Partner haben. Der Partner sieht exakt so aus wie man selbst und man bleibt ein ganzes Leben zusammen – bis zu dem Moment, wo die ersten Löcher kommen und man irgendwann im Mülleimer landet. Mein Partner ist Socke Nr.19. Und hier fängt das Drama schon an. Wir sind nämlich die meiste Zeit nicht zusammen.
Gehen wir einmal davon aus, dass wir das Glück haben und zusammengerollt in Ellas Schublade liegen dürfen. Jeden Morgen wird diese Schublade geöffnet und ein Paar wird ausgewählt. Wenn wir die Auserwählten sind, ist alles noch gut. Wir werden angezogen, der eine am rechten und der andere am linken Fuß. Wenn man richtig viel Glück hat, ist es genau der Tag, nachdem sie eine Dusche genommen hat. Dann stinken die Füße nicht so. Bis dahin geht es uns noch gut. Socken lieben ihren Job, die Füße schön warm zu halten. Sobald Ella aber nach unten geht, fängt der Horror an. Es werden nämlich in diesem Haus keine Hausschuhe getragen und der Boden ist gelinde gesagt eine Katastrophe. So werden wir schon am frühen Morgen mit Milch, Cornflakes und den Überresten vom Abendessen auf dem Boden konfrontiert. Keine saubere und leckere Angelegenheit, das könnt ihr mir glauben.
Was wir auch absolut nicht leiden können, ist, wenn Ella sich zwischen den Zehen pult. Dabei werden unsere Fäden unangenehm gedehnt und der Schmutz zwischen den Zehen bleibt an uns haften.
Dann geht es zur Schule. Wir lieben diese Zeit. In den Schuhen ist es so schön warm und kuschlig. Ok, ich muss gestehen, dass sie auch ein bisschen stinken, aber nach ein paar Minuten nimmt man den Geruch gar nicht mehr wahr.
Sobald wir wieder zu Hause angekommen sind, fängt unsere Odyssee erst richtig an. Entweder wir werden sofort ausgezogen oder spätestens während der Screentime. Werden wir erst später ausgezogen, so dürfen wir noch etwas länger die unvergleichbaren Vorzüge des Bodens genießen. Das war Ironie – für alle die keine Ironie verstehen.
Es endet aber immer gleich. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo wir ausgezogen werden und unliebsam in irgendeine Ecke geschmettert werden. Manchmal tut der Aufprall richtig weh. Noch unangenehmer ist allerdings die verdrehte und ineinandergerollte Position, in der wir dann verharren müssen. Unsere einzige Hoffnung ist, dass wir nah neben einander aufkommen. Aber so viel Glück haben wir meistens nicht. Es bricht mir jedes Mal das Herz, von meiner geliebten Nr.19 getrennt zu werden.
Ihr könnt mir gerne glauben, nach einer gewissen Zeit fühlt man sich nur noch richtig einsam und verlassen. Ab und zu wird man noch von Ella oder Claire zur Seite gekickt, aber das war es auch. Und dort liege ich dann, mit einem gebrochenen Herzen und in einer verdrehten Position. Zuerst ist es nur ein Tag und dann ein weiterer. Aus Tagen wird eine Woche und aus Wochen wird ein Monat. Ganz übel erwischt es die, die unter einem Sofa landen. Manchmal liegen sie da für Jahre. Übers ganze Erdgeschoss verteilt, liegen wir. Wir wissen von der Anwesenheit der anderen, sind aber zu weit voneinander entfernt, um ein Gespräch führen zu können.
Die Zeit vergeht langsam – zu langsam. Die einzelnen Fäden fangen an zu schmerzen und man fühlt sich dreckig und stinkig. Ich versuche mir die Zeit mit Tagträumen von der Waschmaschine zu vertreiben.
Aber wir Socken haben es nicht am schlimmsten getroffen. Ellas Badeanzüge toppen alles. Einer liegt total verdreht und verkrümmt schon seit Monaten im Mudroom und er wird dort bestimmt noch länger ausharren müssen. Ein anderer hängt an der Garderobe und ein weiterer an der Türklinge. Manchmal rufen sie nach Hilfe, aber keiner der Menschen scheint sie hören zu können. Mirjam wirft ihnen hin und wieder einen mitleidigen Blick zu, aber es ist Ellas Aufgabe, sie wegzuräumen.
Als Mirjam bei uns zu Hause ankam, haben wir alle zu hoffen gewagt. Und unsere Hoffnung hat sich am Anfang erfüllt. Sie hat darauf beharrt, dass Ella und Claire uns in den Wäschekorb bringen. Aber sie hat es aufgegeben. Es ist bei den Kindern zu sehr drin, uns überall liegen zu lassen. Ella und Claire haben sie klein gekriegt, auch wenn sie schon von Natur aus klein ist. (haha, ein Witz am Rande).
Irgendwann kommt dann doch der Tag, wo wir aufgesammelt werden und in den Wäschekorb gestopft werden. Dort kann ich mich wenigstens mit anderen Kleidungsstücken unterhalten. Es stinkt allerdings schrecklich in dem Korb und ganz übel ist es, wenn man zwischen zwei Unterhosen eingeklemmt wird. Im Wäschekorb zählen wir die Tage runter, bis es endlich Montag ist – Waschtag!
Was ist es doch für ein herrliches Gefühl, wenn das warme Wasser einen umspült und die Seife anfängt die Verschmutzungen aus den Fäden zu entfernen. Nur den Part mit dem Schleudern kann ich überhaupt nicht leiden. Es gibt aber Kleidungsstücke, die total drauf stehen. Meistens sind es die Sportklamotten – diese Adrenalinjunkies. Sie stinken immer am meisten.
Die ganze Zeit über versuche ich Nr.19 wiederzufinden. In der Regel sind meine Bemühungen ohne Erfolg. So viel Glück wird einem selten gegönnt. Wenn die Waschmaschine mit ihrer Arbeit fertig ist, fängt das große Zittern an. Schließlich friert man, wenn man nass ist. Daher ertönt immer ein Jubelschrei, wenn sich die Tür öffnet und Mirjam uns in den Trockner stopft.
Der Trockner ist mein absoluter Lieblingsplatz. Die Wärme tut nach der Odyssee richtig gut und danach fühle ich mich auch wieder wie ein Socke. Mirjam ist meistens so lieb und gönnt uns noch eine zweite Runde. Bei der ersten Runde werden wir eben nicht richtig trocken.
Nach dem Trocknen steigt bei mir die Spannung ins Unermessliche. Schließlich steht nun das Falten an. Leider packt Mirjam uns Socken und die Unterhosen immer erstmal zur Seite und widmet sich uns erst ganz am Schluss. Zu diesem Zeitpunkt schießt mir nur eine Frage immer wieder in den Sinn – ist Nr.19 dabei? Mein Herz setzt für einen Moment aus, wenn Mirjam mich hoch nimmt, nur um mich dann zur Seite zu legen. Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Und dann ist es so weit. Ich sehe, wie sie einen weiteren Socken hoch nimmt. Er ist weiß, aber hat er auch den weißen Streifen am Fußende? Er hat!!!!!! Ich fange an zu jubeln und zu schreien. Endlich, nach so langer Zeit bin ich wieder mit meinem Partner vereint. Glücklich schmiegen wir uns aneinander. Mit Bedauern schauen wir zu dem Socken rüber, der nicht so viel Glück hatte wie wir. Jedesmal ist mindestens ein Socke dabei, der alleine bleibt. Meistens sind es sogar zwei oder drei.
Ich erinnere mich ungerne an den Tag zurück, an dem das Schicksal mich traf, aber darüber möchte ich momentan nicht nachdenken.
Zu guter letzt werden wir von Mirjams sanften Händen in die Schublade zurückgepackt und können uns ausruhen. Bis zu dem Tag, an dem die Schublade sich öffnet und wir wieder die Auserwählten sind. Hoffen wir, dass dieser Tag noch weit weit entfernt liegt.
3 Gedanken zu „Das Leben eines Socken!“
Richtig genial, dieser Beitrag!
Finde ihn auch total super. Daumen hoch.
Das könnte glatt dein späterer Beruf werden. Schriftstellerin? Da steckt Liebe im Detail und viel Humor drin.
Ich bin begeistert.
Küsschen und Umarmung.
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