Eine kleine Odyssee
Bis zu dem Moment, in dem wir aus dem abgegrenzten Bereich des Flughafens getreten sind, ist alles reibungslos verlaufen. Und selbst danach wirkte es so, als wenn es ohne Probleme weitergehen würde. Ihr müsst dazu wissen, dass wir zu dem Zeitpunkt immer noch keine Ahnung hatten, wie wir von Seoul nach Daegu kommen würden. Daegu ist mit knapp 2,5 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt in Südkorea und sollte für vier Wochen unsere neue Heimat werden. Dort startet nämlich für uns das Work & Travel Programm. Allerdings hatte uns die Organisation nicht verraten, wie wir vom Flughafen zu unserem Hostel in Daegu kommen. Wir sind aber einfach mal davon ausgegangen, dass wir abgeholt werden würden.
So war es dann auch. Im Pulk der wartenden Leute habe ich zum Glück sehr schnell ein Schild mit dem Logo unserer Agentur drauf gesehen. Der Mann kam auch direkt auf uns zu und nach einer kurzen Begrüßung erklärte er uns, dass wir den Zug nach Daegu nehmen würden und dass er dafür verantwortlich sei, uns in den richtigen Zug zu setzten. Er drückte uns dann auch sofort jeweils eine T-Money Card in die Hand. Auf diese Karte kann man Guthaben laden und wenn man hier die U- oder S-Bahn nehmen möchte, hält man die Karte einfach beim Betreten und Verlassen der Station an einer Schranke vor einen Scanner und schon wird der entsprechende Betrag abgebucht. In Bussen und Convenience Stores funktioniert die Karte übrigens auch.
Wir konnten daher also ohne Probleme die S-Bahn vom Flughafen zur Seoul Station – also zum Hauptbahnhof – nehmen. Die Fahrt hat ungefähr eine halbe Stunde gedauert. An der Seoul Station angekommen, erklärte uns der Mann – der übrigens sehr freundlich war (er hat die ganze Zeit meinen kleinen Rucksack für mich getragen) und mit dem man sich gut unterhalten konnte – dass wir einen anderen Zug als vorgesehen nehmen müssten, da unser Flug Verspätung hatte. Daher musste er an einem Automaten erst noch Tickets für uns besorgen. Leider kam er mit nicht so erfreulichen Nachrichten wieder – alle Tickets für den Schnellzug nach Daegu waren bereits ausverkauft und mit der hiesigen Regionalbahn würde es zu lange dauern.
Die ganze Zeit über stand er mit einem der Manager von unserem Programm in Kontakt und beide überlegten nun fieberhaft, wie sie uns nach Daegu bekommen sollten. Tom und ich haben die ganze Situation ziemlich locker aufgenommen und haben einfach darauf vertraut, dass sie schon eine Lösung finden würden.
Die Lösung sah dann so aus, dass wir mit der Regionalbahn erst einmal nach Daejeon fahren sollten und von dort aus den Schnellzug nach Daegu nehmen sollten. Die Schnellzüge hier heißen übrigens KTX. Wir wurden also zu dem entsprechenden Bahnsteig gebracht und ich glaube, unser „Abholer“ hatte etwas Mitleid mit uns. Er gab uns nämlich eine Runde Fried Chicken aus – das beste Fried Chicken, das ich jemals in meinem Leben gegessen habe. Und es war gleichzeitig unser Retter, da das Frühstück im Flugzeug doch schon etwas zurück lag und wir in den nächsten Stunden keine Gelegenheit mehr hatten, uns Essen zu besorgen, was wir allerdings noch nicht ahnten.
Er erklärte uns dann noch, dass die Tickets für den Regionalzug Last-Minute gekauft wurden und wir daher keine reservierten Sitzplätze hätten. Wir könnten uns aber auf jeden freien Platz setzten, nachdem der Zug losgefahren sei. Und wir sollten immer mit dem Wi-Fi verbunden bleiben, da uns der Manager die Tickets für den Schnellzug aufs Handy schicken würde.
„Kein Problem. Das kriegen wir hin.“, dachten wir und machten uns keine Sorgen. Das würde schon alles gut gehen. Als der Zug dann losfuhr, waren auch noch richtig viele Plätze frei und wir setzten uns gemütlich hin. Die zwei Stunden Zugfahrt, die vor uns lagen, wirkten gar nicht einmal so schlimm.
Das änderte sich allerdings schlagartig, als sich bei der nächsten Station der Zug schlagartig füllte und auf einmal alle Sitzplätze belegt waren. Wir mussten also im Gang stehen und das für sehr lange. Zum Glück waren wir nicht die Einzigen, die stehen mussten. Bei jedem Halt quetschten sich die Leute an uns vorbei und mein Gepäck hat die Situation nicht gerade vereinfacht. Meinen großen Rucksack habe ich dann irgendwann von Tom nach oben auf die Ablage verfrachten lassen. Aber selbst mit nur dem kleinen Rucksack zu meinen Füßen, war es nicht einfach. Nur einmal konnte ich mich zwischen zwei Stationen setzen und ein bisschen meine Augen schließen.
In der Zwischenzeit hatte mich die Müdigkeit nämlich mit voller Wucht erwischt. Zudem hatte ich auch nichts mehr zu trinken und Wi-Fi gab es in dem Zug auch nicht. Wir hatten also keine Ahnung, wann und von welchem Gleis unser Anschlusszug in Daejeon fahren würde. Langsam fingen bei mir auch leichte Kopfschmerzen an. Zum Glück war es sehr ruhig im Zug.
Das war wahrscheinlich auch der erste krasse kulturelle Unterschied, der mir aufgefallen ist – wie ruhig es hier im Zug ist. Wir in Deutschland sind ja schon bei Ausländern bekannt dafür, dass es in öffentlichen Verkehrsmitteln eher ruhig zugeht und man nicht zu laut sein sollte. Aber hier in Korea ist das noch einmal auf einem anderen Level. Es wird kaum ein Wort geredet und wenn doch, dann nur in sehr leisem Ton. Fast alle waren an ihren Handys. Da ich ja stehen musste, hatte ich einen wunderbaren Blick darauf, womit die Koreaner sich so ihre Zeit an den Handys vertrieben. Erstaunlich viele haben tatsächlich K-Dramas oder andere Sendungen geschaut. Ich bin jetzt auf jeden Fall nicht mehr verwundert, dass man hier nur Handypläne mit unbegrenztem Datenvolumen bekommt.
Da mein Handy allerdings noch kein Datenvolumen in Korea zur Verfügung stehen hatte und ich keine Lust auf Musikhören hatte, habe ich meine Zeit damit vertrieben, aus dem Fenster zu schauen und fast jedes koreanische Schild zu lesen, das in mein Blickfeld kam. Ich habe zwar fast nie verstanden, was ich da lese, aber es war trotzdem eine gute Übung.
In Daejeon angekommen, war unsere erste Priorität, uns ins öffentliche Wi-Fi vom Bahnhof einzuloggen. Bei mir hat das nur leider nicht funktioniert. Tom hatte da mehr Erfolg und konnte das Ticket bereits öffnen. Mit Schrecken stellten wir fest, dass wir genau drei Minuten Zeit hatten, um unseren nächsten Zug zu bekommen, da der Regionalzug mit etwas Verspätung in Daejeon angekommen war. Auf die schnelle konnten wir in dem ganzen Koreanisch auf dem Ticket nur leider nicht erkennen, auf welches Gleis wir eigentlich mussten. Nur die Zugnummer hatten wir gefunden, die war zum Glück in arabischen Zahlen abgebildet.
Ich bin also schnell die Treppe hoch, um mir erst einmal einen Überblick über die Anzahl der Gleise zu machen. Oben angekommen fiel mir ein Wegweiser mit „Nach Busan“ auf und ich erinnerte mich zum Glück daran, dass unser „Abholer“ irgendwann im Gespräch die Information fallen gelassen hatte, dass unser Schnellzug als Endstation Busan hätte.
Wir sind also so schnell wie unser Gepäck es zugelassen hat, zu dem Gleis gelaufen und auf den Treppen runter zum Gleis haben wir bereits gesehen, dass der Zug mit unserer Zugnummer bereits einlief. Wir hatten es also tatsächlich innerhalb von drei Minuten in den richtigen Zug geschafft. Im Zug haben wir uns erst einmal im Türbereich hingestellt und uns mit dem Zug-Wi-Fi verbunden. Dadurch konnte ich endlich auch einmal mein Ticket öffnen und meinen Sitzplatz erfahren.
Als ich dann endlich saß, konnte ich auch dem Manager schreiben, dass wir es geschafft hatten. Der hatte sich nämlich ziemliche Sorgen gemacht. Genauso wie unser „Abholer“, dem wir dann auch gleich Bescheid gegeben haben, dass alles gut verlaufen war.
Die Zugfahrt nach Daegu hat dann gerade einmal circa 45 Minuten gedauert. Die Zeit hat kaum ausgereicht, um mich von dem ganzen Stress zu erholen. Am Bahnhof von Daegu wurden wir dann von einer Frau abgeholt. Normalerweise nehmen die Teilnehmer die U-Bahn vom Bahnhof zum Hostel. Aber die Frau hatte wohl nach der Odyssee, die wir hinter uns hatten, ebenfalls Mitleid mit uns und hat uns in ihrem Wagen zum Hostel gebracht.
Gegen 21 Uhr Ortszeit waren wir also endlich an unserem Ziel angekommen. Bevor ich todmüde ins Bett gefallen bin, sollten aber trotzdem noch einmal mindestens drei Stunden vergehen.
Warum und wieso erfahrt ihr dann im nächsten Beitrag.