Hundert Liebeserklärungen
Den Samstag nach unserem Ausflug in die Geschichte Koreas haben wir ruhig angehen lassen. Das bedeutete, dass wir fast den ganzen Tag im Hostel verbracht haben. Nachmittags haben wir uns aber doch noch zu einem Spaziergang am Fluss aufgerafft. Wir mussten ungefähr eine halbe Stunde zum Fluss hinlaufen. Am Fluss selbst hat es uns recht gut gefallen. Es gab zwei Wege am Flussufer entlang – einer für Radfahrer und einer für Spaziergänger. Die Radfahrer haben mich hier wirklich erstaunt. Trotz des heißen Wetters waren die meisten Radfahrer komplett vermummt. Sie hatten also sowohl lange Sachen an, als auch ein Tuch komplett über Mund und Nase hochgezogen. Der Look wurde dann meistens noch mit einer Sonnenbrille abgerundet. In dem Outfit könnte man auch locker eine Bank überfallen und keiner würde einen erkennen. Ich gehe mal davon aus, dass sie das zum Schutz vor der Sonne so machen. Wir Deutschen würden aber wahrscheinlich eingehen, wenn wir in dem Outfit uns auf dem Rad abstrampeln müssten.
Alle paar hundert Meter am Flussufer entlang sahen wir fest installierte Fitnessgeräte, die tatsächlich auch genutzt wurden und nicht nur ein tristes Dasein frönten. Es waren meistens Senioren, die an den Geräten ihre Turnübungen verübten – einer sogar kopfüber. Tom und ich waren mal wieder von der Fitness der koreanischen Senioren erstaunt.
Ein anderer Senior hat aber das genaue Gegenteil gemacht und in seinem kleinen elektrischen Gefährt ein Nickerchen unter einer Brücke gemacht. Unter der gleichen Brücke hat gleichzeitig einer auf der anderen Seite des Flusses Trompete gespielt. Das klang gar nicht mal so schlecht. Ihr seht also, selbst bei einem einfachen Spaziergang am Fluss entlang gibt es hier viel zu sehen und zu beobachten.
Auf dem Rückweg haben wir dann das erste Mal einen Supermarkt aufgesucht. Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen verloren war. Die meisten Produkte waren mir fremd und die Produkte, mit denen ich etwas anfangen konnte, waren natürlich im Vergleich zu Deutschland super teuer. Allgemein waren die Preise ziemlich hoch. Es wundert mich, wie die Restaurants das Essen hier so billig anbieten können, wenn die Lebensmittel doch ziemlich teuer sind. Ich bin trotzdem nicht mit leeren Händen aus dem Geschäft gegangen. Es sind zu einem Instant-Nudeln in meiner Tasche gelandet, damit ich hier nicht jedes Mal für eine Mahlzeit das Hostel verlassen muss. Außerdem habe ich mir zum Frühstücken Schoko-Müsli und Joghurt geholt. Die Preise lagen natürlich weit über dem, was wir in Deutschland bezahlen und die Müsli-Tüte war leider auch nicht die größte. Es hat gerade einmal für vier Frühstücks gereicht. Außerdem habe ich mir noch Pringles geholt, weil ich Lust auf Chips hatte. Zu meiner großen Enttäuschung sind die Pringles hier um einiges kleiner als in Deutschland. Dafür kosten sie dann natürlich auch mehr. Das war also ein Einkauf, den ich so schnell nicht mehr tätigen werde.
Am Sonntag ging es dann für mich das erste mal in eine koreanische Kirche. Unsere „Berg-Bekanntschaft“ hatte mich ja am Freitag zum Gottesdienst eingeladen und die Einladung habe ich sehr gerne angenommen. Für mich ist das eine Gebetserhörung, da ich Gott darum gebeten habe, mir zu zeigen, in welche Kirche ich hier gehen soll. Beim Googlen nach einer passenden Kirche kam bei mir nämlich sehr schnell Überforderung auf, da hier doch andere Konfessionen vorherrschen als in Deutschland und meine geringen Sprachkenntnisse bei der Suche auch nicht gerade sehr hilfreich waren. Ich habe zwar eine Übersetzungs-App beim Googlen verwendet, aber das war sehr umständlich.
Ich musste mich für die Kirche auf den Weg in den Süden von Daegu machen. Ich hatte mich für den Bus und gegen die U-Bahn entschieden. Die Fahrt hat insgesamt circa 50 Minuten gedauert und ich fand es ganz schön, mal etwas mehr von Daegu zu sehen als nur die Innenstadt. Weniger schön war die Werbung, die an den Vordersitzen im Bus angebracht war. Es ging dabei wahrscheinlich um irgendein Fußpflegemittel oder um Fußpflege. Auf jeden Fall war gefühlt jede bekannte Nagelpilzinfektion bildlich dargestellt. Das war jetzt wirklich kein Anblick, den ich am frühen Morgen brauchte. Noch einen Grund mehr also, um aus dem Fenster zu schauen.
Vor der Kirche habe ich P. getroffen und wir sind gemeinsam rein gegangen. Dabei wurde ich bereits sehr freundlichen von den Leuten angelächelt und gegrüßt. Als erstes wurde ich einer der Übersetzerinnen vorgestellt, die mir auch gleich den Empfänger und Kopfhörer überreicht hat. Die Kirche ist im Vergleich zu meiner Kirche in Deutschland ziemlich groß und daher gab es im Gottesdienstsaal eine Empore mit weiteren Sitzen. Dort haben wir uns hingesetzt. Der Gottesdienst hatte bereits angefangen und ich war froh, dass mir das erste Lied bekannt war – zwar nicht im Koreanischen aber dafür im Deutschen und im Englischen. Die Lieder wurden neben der Band von mehreren Sänger angeleitet – man könnte bei der hohen Anzahl von Sängern schon von einem Chor reden. Die Gemeinde singt allerdings auch lautstark mit und daher fühlt es sich insgesamt wie ein riesiger Chor an und weniger wie ein Musikteam, das die Lieder von vorne aus vorträgt.
Es war sehr interessant für mich, mal am anderen Ende der Übersetzung zu sitzen. Zu Hause übersetzte ich ja ab und zu unseren Gottesdienst ins Englische und weiß daher nur zu gut, wie hart es sein kann, eine Predigt zu übersetzen. Und ich habe noch einmal mehr Respekt vor den Übersetzerinnen hier. Deutsch und Englisch sind sich wenigstens in der Grammatik ziemlich ähnlich und daher kann man bereits mit dem Übersetzen anfangen, wenn der Satz vom Prediger noch nicht abgeschlossen ist. Englisch und Koreanisch sind sich grammatikalisch aber nicht sehr ähnlich. Die komplette Satzstruktur ist im Koreanischen anders und das macht das Übersetzten noch einmal schwerer. Von daher Hut ab vor den Übersetzerinnen hier – sie machen einen klasse Job.
Am Ende des Gottesdienstes wurde noch eins meiner Lieblingslieder gesungen – „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Das habe ich auch immer sehr gerne mit meinem Musikteam in Deutschland gespielt und es war so schön, die vertrauten Klänge so weit von zu Hause zu hören. Ich habe online den deutschen Text aufgerufen und auf Deutsch mitgesungen. Bei der hohen Lautstärke der Musik hörte man eh nicht, was der Nebenmann sang und daher ist das gar nicht aufgefallen.
Wer jetzt denkt, dass mit dem Ende des Gottesdienstes auch bereits meine erste Kirchenerfahrung in Korea zu Ende gegangen sei, der liegt falsch. Nach dem Gottesdienst wurde ich einer weiteren Übersetzerin vorgestellt, die den Gottesdienst für mich übersetzt hatte und ungefähr in meinem Alter war. Sie hat mich für den Rest des Tages unter ihre Fittiche genommen und mich als erstes zum Mittagessen entführt. Dafür ging es in die Kantine der Kirche, wo sich die Gemeindemitglieder in ihren jeweiligen Altersgruppen zum Essen an langen Tischen niederließen. Ich war daher auf einen Schlag mit Leuten in meinem Alter umgeben. Während des Essens wurden ganz viele Fragen an mich gestellt und ich habe im Gegenzug Fragen an die Koreaner gestellt. Eine ganz wichtige Frage war natürlich, wie alt ich sei? Die Frage ist hier in Korea ziemlich wichtig, um einschätzen zu können, wie die Person angeredet werden muss. Die Frage ist aber für Ausländer gar nicht so leicht zu beantworten, da die Koreaner ihr Alter anders zählen, als wir es tun. Sie zählen sozusagen die Zeit im Mutterleib mit. Das bedeutet, dass Babys bei ihrer Geburt bereits ein Jahr alt sind. Zudem werden alle Koreaner mit dem Beginn eines neuen Jahres automatisch ein Jahr älter. Wenn ein Kind also an Silvester geboren wird, ist es ein Tag später bereits zwei Jahre alt. Als Faustregel habe ich mir einfach gemerkt, dass ich zwei Jahre auf mein Alter draufschlagen muss, wenn ich mein koreanisches Alter angeben möchte.
Nach dem Essen, das übrigens super lecker war, ging es in einen Art Aufenthaltsraum, wo man sich die Zeit bei Getränken und bei Gesprächen vertrieben hat. Auf dem Weg dorthin wurde ich weiterhin von den Leuten freundlich angelächelt und gegrüßt. Die Übersetzerin musste auch häufiger an dem Tag die Geschichte erzählen, wie ich meinen Weg in die Gemeinde gefunden habe.
Nach einiger Zeit haben sich die Leute in ihren jeweiligen Kleingruppen, die nach Alter und bei den verheirateten Leuten auch nach Geschlecht eingeteilt waren, eingefunden. Ich war bei der Kleingruppe von der Übersetzerin mit dabei. Da sie die Leiterin von der Gruppe war, kam die dritte Übersetzerin aus dem Übersetzungsteam dazu und hat für mich übersetzt. Das Gespräch war ein Austausch darüber, was die einzelnen Leute in der Woche mit Gott erlebt haben. In der Zeit kam auch der Pastor einmal kurz vorbei und ist von Gruppe zu Gruppe gegangen. Ich wurde ihm natürlich vorgestellt und die Übersetzerin musste mal wieder die Geschichte vom Apsan und P. erzählen und wie ich dadurch in diese Kirche gekommen bin.
Nach der Zeit in den Kleingruppen haben wir uns die Zeit weiterhin mit Reden vertrieben. Einige Leute hatten in der Zeit aber auch Proben in ihren jeweiligen Teams. Wir haben uns kurz in die Probe vom Lobpreis-Tanz-Team hineingesetzt. Ich war erstaunt, wie talentiert und wie synchron die jungen Leute auf den christliche Hip-Hop Song getanzt haben. Das Konzept eines Lobpreis-Tanz-Teams ist für uns Deutsche eher fremd, aber scheint hier sehr verbreitet zu sein. Und warum auch nicht? Warum sollen wir Gott nur mit unseren Stimmen oder mit unseren Instrumenten preisen, wenn wir auch unseren ganzen Körper dazu einsetzen können?
Als die Durchsage kam, was es zum Abendessen gibt, haben wir uns wieder auf den Weg in die Kantine gemacht. Es gab Kimchi-Eintopf und die Koreaner waren etwas besorgt, dass es zu scharf für mich sein könnte. Ich habe also nicht nur eine Schüssel mit Eintopf bekommen, sondern auch eine Schüssel mit Wasser für den Notfall. Einfach super lieb, wie alle darum bemüht waren, dass es mir in der Kirche gut geht. Zum Glück war der Eintopf nicht zu scharf und ich konnte ihn gut essen. Nach dem Abendessen ging es dann mit ein paar Leuten in ein Café gegenüber der Kirche, bevor es dann zum Abendgottesdienst ging. Und am Ende wurde ich dann sogar noch von drei Mädels im Auto nach Hause gefahren, obwohl ich eine halbe Stunde von der Kirche entfernt wohne.
Ich muss gestehen, dass ich nicht zufrieden bin mit diesem Blogeintrag, da er einfach nicht die Herzlichkeit und Freundlichkeit zum Ausdruck bringen kann, die mir an diesem Tag von den Gemeindemitgliedern entgegengebracht wurde. Ich habe mich super wohl gefühlt und habe viele Leute in meinem Alter kennengelernt. An dem Tag habe ich auch sehr häufig „Ich liebe dich“ gehört. Nämlich immer dann, wenn ich gesagt habe, dass ich aus Deutschland bin. Sehr viele Koreaner kennen wohl diesen einen deutschen Satz. Manche haben mir sogar erzählt, dass sie damals in der Schule Deutschunterricht hatten, aber bereits wieder alles vergessen hätten.
Ich habe mich auf jeden Fall super wohl gefühlt und war mittlerweile bereits mehrmals dort in der Kirche. Und ich fühle mich immer noch so wohl wie am Anfang. Die Gastfreundschaft dieser Gemeinde ist wirklich auf einem anderen Level. Und das sage ich, die selber aus einer Gemeinde kommt, die für ihre Gastfreundschaft bekannt ist. Ich bin Gott einfach nur unendlich dankbar dafür, dass er mich in diese Kirche geführt hat und mich so viele Leute in meinem Alter hat treffen lassen.
Jetzt wisst ihr also, wie sich meine Kontaktliste auf KakaoTalk gefüllt hat. An dem Tag wurde nämlich fleißig Nummern ausgetauscht.
So ein richtiger Cliffhänger für den nächsten Beitrag will mir nicht so wirklich einfallen. Ich kann verraten, dass es für mich für einen Tag aus Daegu raus ging. Wohin und warum erfahrt ihr dann im nächsten Beitrag 😛
6 Gedanken zu „Hundert Liebeserklärungen“
Meine liebe Tochter, mir kamen die Tränen bei „ich liebe dich“. Bin dankbar, dass du es erleben darfst, wie Gott dich führt und dir so viel Gutes tut. Ich habe dich lieb, Mama
Es is sehr schön, dass du dich wohl gefühlt hast. Ich würde sagen, that is what I have expected.
Wenn ich sah: das Outfit von den Radfahren, die Fitness der koreanischen Senioren und wie Koreaner ihre Alter zahlen…..und how would you be surprised by these at the first time, habe ich gelächelt. Aber ich glaube, this is the beautiful part of your trip (and also the world): ganz anderes zu sehen und erfahren.
(I sound like a 80 year old grandma. )
Viel Spaß und ich freue mich auf dein nächstes Abenteuer.
Viele Grüße
Das Kommentar hat meine Emoji verloren. XD
Oh ja, da hast du vollkommen recht. In einem anderen Land zu leben is all about new experiences (jetzt fange ich auch schon mit dem Mix aus Englisch und Deutsch an 🙂 ). Damit hast du ja auch sehr viel Erfahrung und findest dich vielleicht in manchen Anekdoten von mir wieder.
Hallo Mirjam. Ich frohe mich, dass Gott dich zu der Kirche geführt hat, wo du dich wohl fühlst und viel Liebe Gottes durch lieben Menschen bekommen kannst. Wie heißt die Kirche?
Hallo Gloria, die Kirche heißt 샘깊은교회 und ich fühle mich dort sehr wohl.
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